Eine Geschichte in leichter Sprache

Kuli liegt auf einer Seite mit Text

Meistens ist es so:
Ich bekomme einen Text in schwieriger Sprache
und übersetze ihn in leichte Sprache.

Es geht aber auch anders:
Ich kann auch gleich einen Text in leichter Sprache schreiben.
Zum Beispiel eine Geschichte.

In meiner Geschichte geht es um einen guten Freund,
der über sein Leben erzählt.

Der Denker

Er ist ein Denker.
Das sagen die Leute über mich.
Ich weiß nicht genau, was ein Denker ist.
Wenn das jemand ist, der gerne denkt,
dann haben sie recht.

Ich stehe oft einfach nur so da
und schau mir meine Umgebung an.
Menschen und Hunde finde ich besonders spannend.

Ich bleibe immer ganz ruhig.
Auch dann, wenn mich jemand beleidigen oder ärgern will.
Manche glauben, dass ich keine Stimme habe.
Aber das ist nicht richtig.
Ich habe eine sehr schöne tiefe Stimme.

Ich bin schon alt.
Trotzdem sehe ich immer noch sehr gut aus.
Meine blonden Haare sind dicht
und meine dunkelbraunen Augen glänzen.

Vielleicht habe ich deshalb einer jungen Frau gefallen.
Seit einigen Jahren leben wir zusammen.
Wir haben ein angenehmes Leben,
das ich sehr genieße.
Früher hatte ich es nämlich nicht so gut.

Ich bin in Bulgarien geboren.
Das ist ein Land in Europa.
In Bulgarien ist manches so wie in Österreich:
Es gibt Berge und es gibt die Donau.
Bulgarien hat aber auch ein Meer.
Es heißt Schwarzes Meer.

An meine Kindheit kann ich mich kaum erinnern.
Ich weiß nur noch, dass meine Mutter sehr lieb war.
Aber als ich älter wurde, musste ich weggehen.
Es gab nicht genug Essen für uns alle.

Damals war ich noch kein Denker.
Ich habe auch noch nicht viel von der Welt gewusst.
Nur das: ich musste um alles kämpfen.
Denn niemand hat mir etwas geschenkt.
Oft war ich ganz blutig,
weil ich so viel mit den anderen raufen musste.
Meistens ist es dabei um etwas zum Essen gegangen.

Dann ist etwas Schreckliches geschehen.
Ich habe ein Stück Fleisch auf einem Markt gestohlen
und bin erwischt worden.
Man hat mich in ein Heim gebracht.

Ich war sehr unglücklich.
Das Heim war kein netter Ort.
Ich musste mit vielen anderen zusammenleben.
Immer haben wir gestritten:
Wer darf wo schlafen?
Wer bekommt mehr zum Essen?

Die Aufseher haben uns oft geschlagen,
weil wir nicht brav waren.
Aber das schlimmste war:
Niemand hatte mich gern.
Ich war so allein!

Da habe ich mit dem Denken angefangen.
Ich habe die anderen genau beobachtet.
Was haben sie gut gemacht und was nicht?
Wann sind sie bestraft worden und wann nicht?

So habe ich gelernt, wie man sich gut benimmt.
Plötzlich war ich beliebt.
Bei den Aufsehern, weil sie wenig Arbeit mit mir hatten.
Bei den Kameradinnen und Kameraden,
weil ich immer nachgegeben habe.

So sind 7 Jahre vergangen.
Ich war noch immer im Heim und hatte keine Hoffnung mehr,
dass ich jemals wieder in Freiheit leben kann.
Da sind plötzlich Leute aus Österreich gekommen.
Sie wollten einige von uns nach Österreich mitnehmen.
Ich bin ausgewählt worden!

Zuerst hat sich für mich nicht viel geändert.
Nach einer langen Fahrt bin ich wieder in einem Heim gelandet.
Da war ich etwas enttäuscht.
Aber das Essen in diesem Heim war viel besser als in Bulgarien.
Und wir hatten auch öfters Besuch von netten Damen.
Sie sind mit uns spazieren gegangen.
Ich war ihr Liebling.
Aber leider hat mich keine zu sich nach Hause eingeladen.

Und dann kam sie!
Schon beim ersten Besuch habe ich ihr gefallen.
Sie wollte es mit mir versuchen.
Sie wollte sich um mich kümmern und mit mir leben.

Ich war glücklich,
Aber ich hatte auch Angst und viele Fragen.
Wie zum Beispiel:
Kann ich ihr vertrauen?
Werden wir gut miteinander auskommen?

Meine Mimi ist sehr tüchtig.
Sie hat alles gut geplant.
Zuerst sind wir gemeinsam in einen Kurs gegangen.
Wir haben dort gelernt,
wie wir einander besser verstehen können.

Dann hat sie für mich gute Ärztinnen und Ärzte gesucht.
Sie schauen auf meine Gesundheit.
Ich habe sogar eine Osteopathin.
Das ist eine Fachfrau für meine Knochen.
Sie streichelt und massiert mich,
wenn mir mein Rücken weh tut.
Oder wenn ich beim Gehen Schmerzen in den Gelenken habe.

Für mich ist aber das am wichtigsten:
Meine Mimi kümmert sich darum,
dass ich immer etwas Gutes zum Essen habe.
Ich liebe gutes Essen.
Da kann ich mich so richtig darüber freuen!

Manchmal muss Mimi auf ein paar Tage wegfahren.
Dann kommt ihre Mutter und richtet mir das Essen.
Sie geht auch mit mir spazieren.
Mimis Mutter bemüht sich sehr um mich.
Sie ist natürlich nicht so toll wie meine Mimi,
aber wir kommen gut miteinander aus.

Es ist ein schönes Leben,
das ich jetzt habe.
Hoffentlich kann ich es noch ein paar Jahre genießen.
Ich bin ja schon über 13 Jahre alt.

Ihr denkt sicher:
Was meint er denn?
Mit 13 Jahren ist er doch noch ein Kind!

Ihr habt recht.
Bei den Menschen ist das so.
Ich aber bin ein Hund.

Für Mimi bin ich ein ganz besonderer Hund,
weil ich ein Denker bin.
Sie nennt mich deshalb Soki.
Das ist kurz für Sokrates.
Sokrates war ein berühmter Denker,
der vor sehr langer Zeit gelebt hat.

Ihr werde euch sicher fragen:
Wie hat Soki seine Geschichte aufgeschrieben?

Ehrlich gesagt, Mimis Mutter hat sie aufgeschrieben.
Sie hat einma. 1 Woche lang bei mir gewohnt.
Da habe ich ihr von mir erzählt.
Ich kann zwar nicht mit dem Mund sprechen,
aber mit meinem Herzen.

Ein Dichter hat einmal gesagt:
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Ich sage:
Man spricht nur mit dem Herzen gut.

Deshalb, liebe Menschen:
Sprecht mehr mit euren Herzen.
Werdet auch eine Denkerin oder ein Denker.
So wie ich.